1. November 2018

«Chancen der Digitalisierung werden in den Vordergrund gestellt, Risiken leider bagatellisiert»

Die Herausforderungen des Persönlichkeits- und Datenschutzes von Konsumentinnen und Konsumenten werden durch die Monetarisierung von Daten und die Risiken von Data Breaches immer umfassender. Wie weit dürfen Händler und Anbieter gehen? Wie viel Sensibilisierung braucht’s? Antworten darauf gibt Konsumentenschützerin Sara Stalder.

Der Konsumentenschutz und vor allem auch die Sensibilisierung dafür nehmen im Zeitalter der Digitalisierung an Wichtigkeit zu. Wer und was – ausser beispielsweise der Konsumentenschutz Schweiz oder der «Kassensturz» – schützt den Konsumenten überhaupt noch ernsthaft und aufrichtig auf der «von Konzernen beherrschten freien Wildbahn»? Hat künftig der Konsument «David» gegen den Anbieter «Goliath» eine faire Chance?

Sara Stalder: Die Analogie «David und Goliath» ist in diesem Bereich eine ganz wichtige Thematik –Algorithmen oder Logiken für die Auswertung und Verwertung von personenbezogenen Daten sind für den Konsumenten unmöglich zu erfassen, zu verstehen oder gar zu kontrollieren und zu lenken. Hier braucht es nebst starken gesetzlichen Rahmenbedingungen eine verstärkte, ernsthaftere Auseinandersetzung und Transparenz zwischen Anbietern und Konsumenten.

Das jetzige Machtverhältnis ist maximal einseitig. Dass damit eine gewisse Willkür und der Kontrollverlust bezüglich der Datenverwendung einhergehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Stärkere Gesetzesregulationen sind unumgänglich, aber nur nützlich, wenn diese auch wirklich anwendbar und verkraftbar sind für alle Akteure. Es ist wichtig, dass die schweizerische Datenschutzregulation möglichst stark angelehnt und ausgerichtet wird an die europäische Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO), denn dies wird für die Mehrheit der Unternehmen eine grosse Erleichterung sein. Ansonsten sind sie gezwungen, zwei Regulationen gerecht zu werden.

Die Sensibilisierung und Vertrauensförderung bei der verstärkt angegriffenen und manipulierbaren «Schwachstelle» Mensch oder Werbeempfänger ist ein wichtiger Faktor beim Erreichen eines möglichst hohen Vertrauensniveaus seitens des Handels und der Anbieter. Wird hier genug gemacht?

Unabhängige Auskunftsstellen sind sehr wichtig und werden immer wichtiger mit dem ernsthaften, neutralen Fokus auf den Konsumenten im undurchsichtigen Dschungel des Angebots und im Speziellen des Online-Handels.

Internet und Online-Angebote waren schon bisher nie neutral. Im Zeitalter der steigenden Undurchsichtigkeit und des Überangebots von Produkten und Informationen, zunehmender «Fake News» oder «Fake Shops» mit entsprechenden Manipulationen der Leser oder Konsumenten hat die Skepsis gegenüber einer solchen Systemgläubigkeit weiter zugenommen.

Wie ist aus Ihrer Sicht der Spagat zwischen der zunehmenden Datenverarbeitung in der digitalisierten Industrie einerseits und dem Konsumentenschutz andererseits zu schaffen? Sind Regulationen wie die EU-Datenschutzgrundverordnung oder das Schweizer Datenschutzgesetz aus Ihrer Sicht passend?

Die Schweizer Wirtschaft erweist sich im Bereich der Datenschutzregulation speziell einen Bärendienst bei einem zu stark fokussierten, abgeschwächten Swiss Finish. Wir plädieren hier für eine möglichst adaptierbare Anlehnung an die europäische Datenschutzgrundverordnung. Die Schweizer Firmen müssen sensibilisiert und vorbereitet sein, damit sie diese präventiven Basismassnahmen verstehen, vorbereiten und anwenden können in ihren Organisationen und Strategien.

Themen wie «Privacy by Design», «Privacy by Default», Datensparsamkeit, Datenportabilität, Recht auf Löschung und Auskunft sollten keine Fremdwörter bleiben bei Konsumenten, Unternehmen und beim Gesetzgeber. Die Konsumenten wissen bestens, dass personenbezogene Daten das vielbeschworene Öl der Zukunft sind. Es ist ihnen aber zurzeit nicht bewusst, wie stark das Ausmass und die Auswirkungen der Datennutzung sind und wie gross die Bevormundungs- und Manipulationsgefahr werden kann, beispielsweise durch Profiling von Personendaten oder gar Verschleierung des Gesamtangebotes.

Ist der Staat eigentlich genügend interessiert an «mündigen» Konsumenten?

Den Konsumenten müssen effektive, einfache und verständliche Instrumente in die Hände gegeben werden, welche sie transparent managen und so die Datenhoheit wiedererlangen können. Der Staat muss mit der entsprechenden Regulierung dafür sorgen, dass dies umgesetzt wird, und helfen mit entsprechenden, international angelehnten Regulationen wie zum Beispiel «Privacy by Design» oder «Privacy by Default»-Datenminimierung zum Schutz oder Zurückerlangen einer maximalen Datenhoheit. Die Informationsethik und Ethik generell ist letztlich eine Unternehmeraufgabe.

Ich bin überzeugt, dass die Informationsethik ein wichtiger Aspekt wird in den nächsten Jahren. Je nach Mass der Anwendung und der Datenverwendung wird die Glaubwürdigkeit und Attraktivität der Unternehmen in den nächsten Jahren daran mit gemessen. Die Schweiz könnte sich hier ganz bewusst strategisch positiv positionieren und weiterentwickeln als Vorzeigeland mit hohem Ansehen und Vertrauenswürdigkeit bezüglich Datenspeicherung, -verwendung und -sicherheit.

Die Dimension der Datenverarbeitung und des entsprechend Kleingedruckten wird seitens der meisten Konsumenten nicht erkannt, geschweige denn gar erahnt. Im Vergleich zum klassischen Eisberg mit rund einem Zehntel herausragendem, erkennbarem Teil scheint es sich derzeit beim «Daten-Eisberg» um nur rund einen Hundertstel erkennbaren Teil zu handeln. Um gegen dieses «Unterwasser-Monster» bestehen zu können, müssen wir alles, was möglich ist, tun. Ansonsten ist dieses Datenuniversum mit zunehmender Algorithmen-Nutzung und künstlicher Intelligenz einfach schlicht nicht mehr zu steuern. Es wird neue Chancen geben für datentransparente Unternehmen mit nachvollziehbarem Fokus auf Informa-tionsethik und Transparenz zugunsten der Konsumenten.

Als sensibilisierter Konsument sollte man sich automatisch Fragen stellen wie: Wird mein Problem bei der Chat-Beratung oder mein Personal-Dossier bei der Bewerbung «nur künstlich» berechnet? Antwortet mir ein Algorithmus oder Bot, oder ist es mit «echtem» feinsensorischem Menschenverstand bewertet, beraten und auf verschiedene Weise angeschaut?!

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