15. Januar 2019

Die AGB SIK: In der Cloud und am Boden der Realität zu Hause

Im swissICT Magazin 4/2018 warnte Matthias Ebneter, Head of Legal der SAP (Schweiz), die öffentlichen Auftraggeber davor, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schweizerischen Informatikkonferenz (AGB SIK) einzusetzen – vor allem, wenn es um Cloud-Leistungen geht. Als an der Ausarbeitung der AGB beteiligte und in ihrer Anwendung erfahrene Juristen sehen wir das anders.

Unserer Meinung nach helfen die AGB SIK gerade kleineren und mittleren Beschaffungsstellen dabei, zentrale öffentliche Interessen und gesetzliche Vorschriften gegenüber grösseren Anbietern durchzusetzen. Sie sind flexibel genug, um unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden. Sie erlauben auch den pragmatischen Umgang beim Bezug von Cloud-Leistungen, wie er im erwähnten Beitrag gefordert wird.

ICT-AGB des Staates schützen öffentliche Interessen und schaffen Waffengleichheit

AGB – also immer gleichlautende Vertragsbestandteile, die von einer Partei vorgegeben werden – standardisieren und vereinfachen den Abschluss von Verträgen. Daher nutzen Unternehmen und öffentliche Verwaltungen eigene AGB, die ihre jeweils wichtigsten Interessen reflektieren: das Eingrenzen und Reduzieren von Risiken und, seitens der Verwaltung, auch öffentliche Interessen und gesetzliche Vorschriften wie Datenschutz, Informations­sicherheit und das Öffentlichkeitsprinzip.

Die AGB SIK tragen – anders als die AGB grösserer Anbieter – diesen Interessen Rechnung. Sie sehen z.B. die Anwendung des Schweizer Datenschutz- und anderen Rechts vor, die Datenbearbeitung und den Gerichtsstand in der Schweiz sowie risikoangemessene Haftungs- und Gewährleistungsregeln. Vor allem aber erlauben die knappen, klaren und praxisorientierten AGB SIK auch kleineren Gemeinwesen ohne spezialisierten Rechtsdienst, mit grösseren Unternehmen ICT-Verträge abzuschliessen, ohne viele Seiten klein gedrucktes Juristenenglisch verstehen zu müssen.

Dies wissen und schätzen die ICT-Verantwortlichen der Schweizer Gemeinwesen. Eine Umfrage des zweiten Autors im Jahr 2015 zeigte, dass 14 der 20 auf die Umfrage antwortenden Kantone und Städte gesetzliche oder Verwaltungsvorschriften kennen, die die Anwendung der AGB SIK vorschreiben. Die Umfrage zeigte auch, dass fast alle anderen antwortenden Gemeinwesen die AGB SIK auch ohne Vorschrift systematisch anwenden. Die Bundesverwaltung setzt eigene ICT-AGB ein, die den AGB SIK
in den wesentlichen Punkten entsprechen. Die AGB SIK bilden damit einen breiten Schweizer Konsens über angemessene ICT-Vertragsbedingungen ab.

AGB sind gerade in Ausschreibungen wichtig

Anders als Privatunternehmen können sich Behörden ihre Vertragspartner nicht nach Belieben aussuchen. Sie sind gesetzlich verpflichtet, grössere Aufträge öffentlich auszuschreiben. Dies setzt voraus, dass die eingehenden Angebote vergleichbar sind. Das ist aber nicht der Fall, wenn jedes
Angebot auf unterschiedlichen AGB der Anbieter basiert und so z.B. unterschiedliche Garantie-, Haftungs- und Dateschutzregeln vorsieht. Im kantonalen und kommunalen öffentlichen Beschaffungsrecht sind Verhandlungen zudem ausdrücklich verboten.

Daher müssen Beschaffungsstellen die vertraglichen Rahmenbedingungen ihrer Aufträge fix vorgeben. Auch dafür sind die AGB SIK eine gute Grundlage. Aus rechtlicher Sicht kommt es dabei nicht darauf an, ob ihre Akzeptanz als Eignungskriterium oder anders bezeichnet wird – bloss zwingend muss sie sein.

Das heisst nicht, dass Besonderheiten des Beschaffungsgegenstands und der Angebote deshalb nicht berücksichtigt werden können. Aber um die Angebote vergleichbar zu machen, muss die Beschaffungsstelle auch dafür den Rahmen vorgeben. Sie kann etwa vorsehen, dass Abweichungen von den AGB SIK in bestimmten Punkten zulässig sind (z.B. zum Garantieumfang), aber einen Punkteabzug zur Folge haben. Dies verlangt nach einer gründlichen Marktanalyse, um die Geschäftsmodelle möglicher Anbieter zu erfassen und ihnen in der Ausschreibung genügend Spielraum zu lassen. Ebenso  kann die Beschaffungsstelle die AGB SIK mit leistungsspezifischen Anforderungen ergänzen, wie z.B. ein Service Level Agreement für Cloud-Leistungen. Damit kann
sie Angebote von Unternehmen einholen, die eine unveränderte Anwendung der AGB SIK abschrecken könnte, und den Wettbewerb damit wirksamer gestalten.

Die AGB SIK sind flexibel gestaltet und auf Cloud-Leistungen gut anwendbar

Die dafür nötige Flexibilität bieten die AGB SIK. Seit 2015 gehen sie nämlich nicht mehr davon aus, dass ICT-Verträge fixen Typen wie Hardwarelieferung, Softwareentwicklung oder Beratung entsprechen. Die AGB SIK bestehen neu aus einem allgemeinen Teil, der für ICT-Leistungen aller Art gilt, und einem besonderen Teil, der auf konkrete Leistungsarten Bezug nimmt.

Auf besondere Regeln für Cloud-Leistungen verzichten die AGB SIK mit gutem Grund. Zur «Cloud» gehören nämlich sehr verschiedene Servicemodelle – von der Nutzung einfacher virtueller Server («IaaS») bis hin zu ganzen Geschäftsprozessen («BPaaS»). Diese Modelle sind nichts grundsätzlich Neues, sondern entsprechen Kombinationen altbekannter Leistungs­typen – Mieten, Werkverträge, Aufträge –, die aber in der Cloud meist hoch standardisiert, automatisiert und skalierbar erbracht werden.

Diese Eigenheiten von Cloud-Leistungen verlangen jedoch keine grundsätzlich andere Behandlung in den AGB. Die AGB SIK sind nämlich so offen formuliert, dass sie sich den Eigenheiten der konkret vereinbarten Leistung anpassen und vorsehen, dass das im Einzelfall Vereinbarte den AGB vorgeht. Daher ist es z.B. nicht der Fall, dass, wie Matthias Ebneter meint, starre AGB-Vergütungsregelungen greifen, wenn das Angebot und der Vertrag Cloud-typisch einen Servicepreis vorsehen, denn Kostenarten und sätze richten sich nach dem Angebot (Ziff. 10.1 AGB SIK). Die AGB SIK verlangen von Anbietern von Cloud-Leistungen auch nicht die Übertragung von geistigem Eigentum, sondern nur eines Nutzungsrechts, da Standardsoftware eingesetzt wird (Ziff. 24.4.2 AGB SIK). Auch in den anderen im eingangs erwähnten Beitrag genannten Fällen zeigt eine nähere Auseinandersetzung mit den AGB SIK, dass sie auf Cloud-Leistungen sehr wohl gut passen.

In zukünftigen Überarbeitungen wird sicher zu prüfen sein, ob die Begriffe und Annahmen der AGB SIK noch dem neuesten Sprachgebrauch und den häufigsten Servicemodellen entsprechen. Im täglichen Einsatz sind die AGB SIK aber für alle ICT-Leistungen weiterhin gut geeignet. Dies bestätigt zum einen die Erfahrung der Autoren: Der Kanton Bern etwa beschafft seit vielen Jahren auch Cloud-Leistungen auf der Basis der AGB SIK. Zum andern zeigt ihr breiter und offenbar problemloser Einsatz – Gerichtsentscheide, die Schwierigkeiten aufzeigen, sind nicht auffindbar –, dass sie sich als Grundlage öffentlicher ICT-Beschaffungen auch im Cloud-Zeitalter weiterhin sehr gut eignen.

 

Gastautoren:

Ursula Widmer ist Rechtsanwältin in Bern

Thomas M. Fischer ist Stabschef des Amts für Informatik und Organisation des Kantons Bern (KAIO) und Vorsitzender der kantonalen Beschaffungskonferenz

Die Ausführungen in diesem Beitrag geben ausschliesslich die persönlichen Meinungen der Autorin und des Autors wieder.

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